Donnerstag, 5. März 2009

Den Kaisersaal schenkte man sich

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„Saal der Mörder“ - Abbildung aus: Goscinny/ Tabary: Das Wachsfigurenkabinett. 
In Band 15 der Abenteuer des Kalifen Harun al Pussah: Ich will Kalif werden anstelle des Kalifen, S.25
                                                
In seinen sehr lesenswerten Lebenserinnerungen schildert der großartige Komponist wunderbarer Chansons und Filmmusiken Friedrich Hollaender (Lieder eines armen Mädchens, Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre, Wenn ich mir was wünschen dürfte, …) Eindrücke seiner Besuche in einer Berliner Institution: Castans Panoptikum. Die Schwerpunkte seines Interesses werden mit denen vieler anderer Besucher übereingestimmt haben:

„Castans Panoptikum! In der Vitrine davor, zum Anlocken: die wächserne Schläferin, deren Busen sich hob und senkte. Später dann, wenn man das Treppenhaus betrat und sein Billett dem Kontrolleur zum Lochen vorwies, war der auch aus Wachs! Aber der zweite, an dem man vorbeiging, weil er ebenfalls aus Wachs war, der sagte: ‚Warten Se mal, Mäneken!’ Den Kaisersaal schenkte man sich. Auch den Märchensaal, obwohl die Aschenbrödeltauben nach Einwurf von zehn Pfennigen sehr emsig pickten. Aber nachdem man’s dreimal gesehen hatte, pickten sie einem zu emsig.
Zur ‚anatomischen Abteilung’ kam man immer wenn gerade Besuchszeit für die andere Hälfte der Menschheit war. Na, auch nichts verloren! Dabei waren es gute Plastiken. Aus dem Leben gegriffen, möchte man sagen.
Dafür war die Schreckenskammer jederzeit geöffnet. Haarmann mit dem Hackebeil, Giftmariechen mit dem Silberblick, der schiefe Otto mit der Würgehand. Wie schön! Und vor allem das Guckloch in die Hölle, in der nackte Damen ein Rasiermesser hinunterritten. Alles in Bewegung, für einen Groschen. Nebenan waren die Politischen: Iwan der Schreckliche, Luccheni, der Mörder der schönen Kaiserin Elisabeth. Ob sie den Herrn aus dem Münchner Bürgerbräu auch einmal ausstellen werden? Wie ich meine Deutschen kenne, werden sie ihn eines Tages dahin verfrachten. Und eines Tages werden sie ihn wieder herausholen.”
Verfolgt von Glasaugen, Flachshaar und Wachsgrübchen, glaubte man den lebendigen Kopien auf der Straße keinen Atemzug. Dem Herrn, zum Beispiel, der sich vor dem nächsten Schaufenster, einem Elektrogeschäft, so übertrieben den Hals verrenkte, hatte bestimmt jemand 10 Pfennige in den Schlitz geworfen.“

Friedrich Hollaender: Von Kopf bis Fuß. Revue meines Lebens. Berlin 2001, S.132f
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