![]() |
um 1910, Sammlung Nagel |
Das vielgestaltige Oeuvre des österreichischen Schriftstellers Felix Salten (1869-1945) reicht von der Tiererzählung „Bambi“ bis hin zum Roman „Josefine Mutzenbacher. Die Geschichte einer Wienerischen Dirne“, dessen Autor er höchstwahrscheinlich ist. In seinem Essay „Wurstelprater“ beschreibt er ebenso atmosphärisch-dicht wie ungeschminkt das Treiben in den Buden und Lokalen dieses bekannten Vergnügungsparks.
Das Kapitel „Panoptikum“ bezieht sich offensichtlich auf Präuschers Panopticum auf dem Pratergelände, auch wenn dieser Name nicht erwähnt wird.
Wie auch in Saltens Text deutlich wird, zählte Präuschers Panopticum zu den zahlreichen Vertretern seiner Art, die mit verschiedensten skurrilen, frivolen, makabren, grausigen oder auch abstoßenden Exponaten auf einfache Schaugelüste abzielten. Neben den üblichen Objekten wie Prominente, pikante Szenerien, Moulagen, Verbrecher, Abnormitäten und Feuchtpräparate zeigte er zwischenzeitlich u.a. das Stopfpräparat des „Haarweibs“ Julia Pastrana.
.
Im 19. Jahrhundert hielten sich hartnäckig Gerüchte über Gorillas, die „Negerfrauen“ raubten. Entsprechende Szenerien wurden auch in Wachsfiguren gezeigt. Ende des 19. Jahrhunderts verbreitete sich ein Bericht, wonach in der Provinz Transvaal die in einem Waldsee badende 18-jährige Tochter eines Plantagenbesitzers von einem Gorilla geraubt und bei Befreiungsversuchen durch Eingeborene von dem Tier erdrückt worden sei.
![]() |
Holzstich nach Freimets Skulptur, Ende 19. Jh. Sammlung Nagel |
(Quellen: Ausstellungsführer verschiedener Panoptiken; www.schaubuden.de; Wolfgang Regal/ Michael Nanut: Das Panopticum und Menschenmuseum des Hermann Präuscher im Prater. In: Ärzte Woche, 20. Jahrgang Nr.49, 2006)
„Die Leute, die sich gerne in die Nähe der Berühmtheiten drängen, die schon zeitlich morgens aufstehen und zum Bahnhof zu laufen, wenn der deutsche Kaiser nach Wien kommt, alle, welche große Männer um Photographie und Autogramm anbetteln, dann jene, die den Gerichtssaal und die Berichte über den neusten Raubmord voll Begierde verschlingen, und noch die vielen anderen, die mit stumpfen Organen die Kunst begaffen und betasten, müssen gerne hierher gehen.
Denn es ist gerade im Panoptikum alles, was die Menge braucht. Jenes widerwärtige Gemisch, das als Surrogat des echten Lebens von allen genossen wird, und das alle verblödet. Die großen Männer in ihren Hausröcken oder in typischer Gala; die blutigen Verbrecher, ihre Einrichtung, ihre Mordwerkzeuge, ihre Schuhe – alles mit der Genauigkeit sensationeller Zeitungsartikel – und eine ordinäre Kunst, deren bunte Lappen jeder greifen kann. Da stehen Goethe und Schiller in staubigen Röcken, Voltaire mit schmutzigem Jabot, Richard Wagner in hellen Beinkleidern, die auf der Mariahilfer gekauft wurden, Moltke und Bismarck in voller Uniform, blitzende Blechorden auf der mit Sägespänen gefüllten Brust, Prinz Eugen, Andreas Hofer und Radetzky – und die Leute stellen sich vor ihnen auf, schauen ihnen ins Gesicht; sie können sich einbilden, es sei ein bedeutender Moment, und sie ständen jetzt diesem oder jenem Helden gegenüber. Dort wieder ist Otto Schenk, Schlossarek, das Ehepaar Schneider, Francesconi, in Wachs modellierte Fünfkreuzer-Romane.
Dann sieht man gestellte Bilder nach Munkacsy, und an den Wachspuppen merkt man erst, wie opernhaft gruppiert diese Bilder sind, wie unmoralisch sie sind, dass man sie aus den Rahmen nehmen und ausstopfen könnte. Invaliden von Friedländer, die aussehen, als säßen sie Modell, feiste Mönche von Grüßner, `dralle´ Diarndln von Schmidt, zuckersüße Nymphen von Thumann. Auch der herrliche `Frauenraub´ von Fremiet ist da, aber der steinerne Gorilla hat hier ein wirkliches Fell, er bewegt das Maul, und das Weib, das er hält, hat einen Körper wie Rosa-Seife. Den `Verurteilten´, die Invaliden, die Mönche, die Diarndln und die Nymphen mag man dem Panoptikum lassen, den Fremiet sollte man konfiszieren.
Das Licht des verdämmernden Nachmittags fällt in den weiten Raum auf all die Figuren, die mit starren, toten Gebärden dastehen in verschlissener, schäbig gewordener Pracht. Es ist, als wären schon hundert Jahre vorbei, und alles, was die Welt bewegte, stände hier wie morsches Gerümpel in einer Scheuer beisammen – Bismarck und Moltke und Richard Wagner und Munkascy und Hugo Schenk.“
Felix Salten: Wurstelprater. Wien 1911, S.62-64
.